Das Gefühl beim Ankommen war wie ein harter Aufschlag in einer grellen, fremden Welt: blinkende Lichter, Sirenengeheul in ungewohnter Frequenz und Intensität, dauerndes Gehupe, Menschenmassen, Schmutz, Verkehrsampeln, die man zuerst verstehen muss, bevor sie gefahrlos genutzt werden können.
Diese Stadt nähert sich nicht an, sie explodiert in einem und hinterlässt bunte, scharfe Splitter, die extrahiert und wieder zusammenfügt werden müssen, um sie zu begreifen. Zum Gesamtbild gehört auch der beißende Grasgeruch, der ständig dabei zu sein schien, aber erst nach und nach von mir erkannt wurde. Der Umgang mit der noch jungen Cannabis-Legalisierung muss sich wohl erst einpendeln. Etwas Anderes erkannte ich rascher. Der typische New Yorker ist überaus freundlich und hilfsbereit! Er wünscht nicht nur überschwänglich „a happy new year“ oder „a wonderful day“, er springt auch mit seiner Metrokarte ein, wenn die eigene aus unerfindlichen Gründen nicht funktioniert oder fragt, ob man Hilfe benötige, wenn der Blick zwischen Straßenatlas und Straßenschildern zu anhaltend hin- und herwandert. Andererseits wirkt sogar der hartgesottene New Yorker freudig überrascht, wenn man ihm eine Türe aufhält oder sich über die übliche Floskel „how are you doin“ hinaus noch dem Befinden erkundigt.
Denn, was ich in fünf Tagen New York gelernt habe, der typische New Yorker hat es IMMER eilig. Damit erklärte sich auch ein für mich – die gemütliche Wiener Kaffeehauskultur gewohnt –unglaublicher Zustand. In ganz Midtown Manhattan gibt es kein einziges Café mit Sitzplätzen! Der New Yorker „grabs his take away coffee“ und hastet weiter, nun mit einem großen Kaffeebecher in der Hand. Gesessen wird nur, wenn nicht gerade gearbeitet wird. Und das scheint bestenfalls spät abends zu sein, denn die Dichte an Abendlokalen wiederum ist unübersehbar. Nun, das Arbeiten in ein bis drei Jobs ist wohl notwendig in einer Welt, in der eine 25 Quadratmeter Wohnung 4500 Dollar Monatsmiete kostet… Und auch Menschen, die in unseren Augen bereits dem Rentenalter angehören, fügen sich wie selbstverständlich in das Bild der Berufstätigen. Wer nicht in jungen Jahren für eine Alterssicherung gesorgt hat, bleibt weiter im Berufsleben, auch das ist Amerika.
Der Big Apple, Concrete Jungle, City of Sin, City that never sleeps – die Stadt hat viele Namen und jeder passt. Viele Schichten des historischen Wachstums sind sichtbar und dokumentieren die Zeit vom Pelzhandels-Hafen des frühen 17. Jahrhunderts bis heute. Weil ich die Welten eines Landes oder einer Stadt auf unterschiedlichen Wegen erkunden möchte, habe ich diesmal nicht nur meinen geliebten „Fettnäpfchenführer“ herangezogen, sondern auch Geschichten von einer beeindruckende Frau gelesen, die im New York der 30 Jahre lebte. Dorothy Parker beobachtete mit scharfem Blick und Verstand nicht nur die Menschen der gehobenen Bildungsschichten, sie war ebenso in den Spelunken der Stadt mit deren zwielichten bis gefährlichen Besuchern Zuhause (siehe Empfehlungen). Die gefährlichen Zeiten sind längst vorbei, die unübersehbare Polizeipräsenz und Kameras an jeder Ecke tragen wohl das Ihre dazu bei.
Mein Forschergeist integrierte Schritt für Schritt das fremde Stadtbild. Nach rund 100 000 Schritten in fünf Tagen war vieles bereits vertraut: Die Ampeln und die Gewohnheit der Überquerenden auch am letzten Abdrücker über die Straße zu eilen; die Feuerhydranten an jedem einzelnen Haus; der Dampf aus den Gullys des veralteten, aber immer noch brauchbar funktionierenden Dampfheizungssystems der Stadt; die Menschenwand, die einem an einer Fußgängerampel bei grün (eigentlich weiß) entgegen kommt und es sich doch immer irgendwie ausgeht, dass jeder ohne Blessuren auf der gewünschten Seite ankommt; die irrwitzigen Botenfahrer auf ihren E-Rädern, die jede Ampel ignorieren und trotzdem ihre Tage zu überleben scheinen; die unscheinbaren „M“s, die die Metrostationen kennzeichnen und an denen ich regelmäßig vorbei lief…
Apropos Metro: Das seit 1904 bestehende U-Bahn System ist ein Abenteuer für sich. In dieser eigenen unterirdischen Welt erlebt man New York anders. Straßenkünstler, aufgehübschte Stationen, die mit Werken verschiedenster aktueller Künstler aufwarten können, herrliche Mosaike an den gekachelten Wänden, überall buntlackierte Stahlträger, Stationen mit Zügen, die 3mal länger sind als bei uns, unfassbar lautes Gerumpel der Züge und ach ja, Stationen, an denen sich nicht unbedingt Linien kreuzen oder jeder Zug hält. Das System ist gewachsen, das Umsteigen erfordert oft ein Auftauchen aus der Subwelt, um nur wenige 100 Meter später wieder abzutauchen zur Anschluss-Linie. In den Zügen selbst zeigt sich das gesamte Bild amerikanischer Immigration. Da sitzt eine ältere chinesische Dame zwischen dem Latino und dem weißen Teeniemädchen in hipper bunter Kleidung. Daneben steht der schwarze Polizistenhüne und blickt wachsam in den Wagon. Ich liebe dieses Bild, das die Vielfalt menschlichen Seins zeigt und das Funktionieren friedlichen Zusammenlebens. Alle haben hier dasselbe Ziel, irgendwie in diesem Großstadtdschungel, der alles fordert und doch so geliebt ist, zu überleben.
Und langsam schlich sich mit zunehmender Vertrautheit ein Gefühl des Wohlwollens ein, das sich Tag für Tag und Minute für Minute weiter auswuchs. Bis ich etwa an Tag drei erstaunt feststelle: Die Stadt gefällt mir! Und zwar trotz oder vielleicht wegen des Gefühls irgendwo zwischen Vertrautheit und Irritiertheit, weil sich das Bild im Kopf nicht so recht mit der Realität übereinstimmen lassen wollte. New York besitzt diesen slightly shabby touch, den man in Filmen und Serien nicht erfühlen kann. Meine inneren Bilder ergänzten sich nach und nach um die fehlenden Sinneseindrücke – New York wurde echt in mir! Auf charmante Art und Weise kroch der „Große Apfel“ in mich und erschloss sich mir über Lichtschalter, Toilettenspülungen oder abgewetzte Türrahmen. Ich roch, fühlte und hörte die Stadt und entdecke im Schäbigen ihre Schönheit.
Manhattner sprechen etwas geringschätzig von jenen Menschen, die nicht auf der Insel leben, als „bridge and tunnel“. Entspricht wohl hier in Wien unserem „über der Donau“. Wir sind doch alle gleich! New York hat mich eingesogen und in einem Zustand zwischen euphorischem Rausch und Erschöpfung wieder ausgespuckt. Eines steht fest, Big Apple, ich konnte nur in einen Bruchteil deines Seins eintauchen, aber das wird nicht so bleiben.
Got me? See ya!